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Kurze Analyse zur Gänsejagd


Nachdem die Graugans als heimischer Brutvogel in Deutschland, in einigen Regionen bereits vor Jahrhunderten, ausgerottet worden war, gab es im 20. Jahrhundert, auch angeregt durch die Forschungstätigkeit von Konrad Lorenz, in Westdeutschland (BRD) Bestrebungen, Gänse wieder anzusiedeln. Häufig wurden dabei exotische Arten ausgesetzt. In Bayern sind Graugänse (rechts oben), Kanadagänse (links oben), Nonnengänse (links unten) und Streifengänse (rechts unten) heute regelmäßige Brutvögel, wobei nur die Graugans, regional auch die Kanadagans, nennenswerte Zahlen erreicht. Obwohl die Gänse auf Wunsch des Menschen in Bayern leben, werden neuerdings vielerorts die Stimmen lauter, den vorhandenen Bestand an Grau- und Kanadagänsen zu reduzieren. Dabei wird gern und eilfertig nach dem Jäger gerufen, ohne daß die grundlegenden Fragen gestellt, geschweige denn beantwortet worden sind:

Ist es tatsächlich nötig, den Gänsebestand zu reduzieren?

Wäre es überhaupt möglich, den Gänsebestand zu reduzieren?

Und welche Auswirkungen hätte unser Eingreifen auf die vorhandenen ökologischen Gleichgewichte?

Die Beantwortung dieser Fragen ist losgelöst voneinander kaum möglich. Zunächst zeigen die Erfahrungen und beispielhaft in Bayern die Entwicklung der Bestandszahlen in frühzeitig besiedelten Gebieten, daß entgegen vielfach geäußerter Befürchtungen Gänsepopulationen nicht unbegrenzt ansteigen. Die Graphik zeigt eigene Zählungen aus dem Nymphenburger Schloßpark in München, dem frühesten bekannten Aussetzungsort für Gänse in Bayern. Der Bestand an Grau- und Kanadagänsen war über die Jahre 2004-2009 stabil (einschließlich der üblichen jährlichen Schwankungen). Die rote Linie reflektiert jeweils den Überwinterungsbestand, die blaue den Mauserbestand. Trotzdem wird der Gänsebestand von Besuchern im Park als zunehmend empfunden.
Regulierend in eine solche Population eingreifen zu wollen ist weder von Erfolgsaussichten begleitet noch anzuraten.
Für die Begrenzung des Gänsebestandes sind natürliche populationsinterne Mechanismen verantwortlich - da erwachsene gesunde Gänse quasi keine natürlichen Feinde haben, spielen Jäger-Beute-Mechanismen für Altvögel keine Rolle. Die Größe einer Gänsepopulation wird bestimmt durch das Angebot an Lebensraum (Nahrungsflächen und Gewässer); die Reproduktionsrate durch das Angebot an Brutplätzen und zur Jungenaufzucht geeigneter und verfügbarer Nahrung.
Die natürlichen Regulationsmechanismen spiegeln sich in einem geringen Brutvogelanteil (ca. 20%) und einem hohen Gelegeverlust bzw. einer sehr hohen Jungensterblichkeit wider [Quelle: www.sovon.nl]. Um über die populationsinternen Mechanismen hinaus eine zusätzliche anthropogene Reduktion der Gänsezahlen durch letale Maßnahmen zu erzielen, müßten bayernweit bzw. in Mitteleuropa gut 80% der Altvögel getötet und/oder mehr als 90% der von ihnen gelegten Eier unfruchtbar gemacht werden. Maßnahmen in diesem Umfang sind weder vertretbar noch durchführbar und würden die erneute Ausrottung der Gänse bedeuten.
Stattdessen schaltet die Verfolgung von Gänsen mit letalen Maßnahmen die natürlichen Regulationsmechanismen ab, der Anteil der Brutvögel steigt, gleichermaßen auch der Bruterfolg bzw. die Überlebensrate der Jungvögel. Die Verluste werden ausgeglichen, häufig sogar überkompensiert.
Aus biologischer Sicht ist eine Reduktion des Gänsebestandes weder erforderlich noch ratsam. Da ökologische "Überpopulationen" bei diesen Tieren nicht auftreten, ist eine Reduktion durch letale Maßnahmen gar nicht möglich. Wenn sich Gänse jedoch zahlreich direkt vor unseren Augen im Stadtpark tummeln - oft deshalb, weil ihre Vorfahren genau dort ausgesetzt worden sind - und mit ihrem Kot Wiesen verschmutzen, die auch Menschen nutzen wollen, kommt so manche Gemeinde in die Versuchung, trotz aller Erkenntnisse eine Reduktion der Gänsepopulationen zu versuchen.
Im Nymphenburger Schloßpark wurde Anfang der 1970er Jahre mit der Bejagung der Gänse begonnen. Die dort als Brutvögel etablierten Kanadagänse gerieten dabei unter Druck, wodurch Räume frei wurden für die Graugans, sich dort ebenfalls als Brutvogel anzusiedeln. 30 Jahre später gab es im Park fast genauso viele Kanadagänse wie zu Beginn der Bejagung, die Graugänse hatten sich jedoch stark vermehrt [Quelle: Homma, Geiter, 2003: Studie über freilebende Gänse in der Stadt München (Bestand, Wanderung, Auswirkungen, Managementvorschläge insbesondere im Hinblick auf die Problematik der Graugänse unter Berücksichtigung der Schwäne und der Kanadagänse)]. Die Jagd hatte den gegenteiligen Effekt als beabsichtigt: anstatt den Bestand an Gänsen zu reduzieren, wurde er nahezu verdoppelt. Das zeigt, daß bei der Jagd stets die Ökologie der Jagdbeute sowie der mit ihr konkurrierenden Arten unbedingt berücksichtigt werden muß.
Gänsejagd hat jedoch auch einen zutiefst ethischen Aspekt, der in dem ausgeprägten Sozialleben der Gänse begründet liegt. Allgemein bekannt ist, daß Gänse in lebenslänglicher Einehe leben. Weniger bekannt ist, daß sich ihre Treue nicht nur auf den Ehepartner, sondern auch auf traditionell aufgesuchte Orte und auf einen ausgedehnten Familien- und Freundeskreis bezieht, den Gänse im Jugendalter aufbauen und bis zu ihrem Tod pflegen. Was auf dem ersten Blick wie ein Durcheinander auf dem See aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Zusammenkunft befreundeter Familiengruppen, im Bild zu erkennen an den Gänsemarsch-Formationen. Solche Zusammenkünfte von Familienmitgliedern und Freunden finden vor allem in der zweiten Jahreshälfte, also während der traditionellen Jagdzeiten statt. Wer auf Gänse jagt, muß sich darüber im klaren sein, daß er nicht einfach auf einen Schwarm, sondern auf Familiengruppen schießt.
Im urbanen Bereich ist die Wasservogeljagd kaum akzeptiert. In München hat man daher einige Jahre die Gelege der Gänse behandelt (Schütteln, Durchstechen), wobei jedem Paar zwei Eier belassen wurden, um das normale Sozialverhalten nicht vollends zu unterbinden (solche Maßnahmen sind nur im Rahmen wissenschaftlicher Studien genehmigungsfähig und wurden als solche durchgeführt). An einem Beispiel aus dem Olympiapark möchte ich erläutern, weshalb ich auch dieses Vorgehen für nicht vertretbar halte.

Im Jahre 2001 ist es Susanna Homma und Olaf Geiter im Olympiapark gelungen, drei Familiengruppen mit 2, 5 und 7 Gösseln zu beringen. In der Graphik wurden die Eltern mit BV1-BV6 benannt, der Nachwuchs der Familien mit G (7 Jungvögel), J (5 Jungvögel) und K (2 Jungvögel).
Im Jahre 2006 waren diese Brutpaare entweder (zum Teil) gestorben oder im Ruhestand, auch einige der Nachkommen lebten nicht mehr. Die sieben Geschwister der Großfamilie hatten überlebt. Eine der Gänse brütete erstmals erfolgreich (neben fünf alteingesessenen Paaren) und zog ein Jungtier auf. Im darauffolgenden Jahr brütete diese Gans erneut, und in unmittelbarer Nähe eine ihrer Schwestern.
Im Jahre 2008 hatten die G- und die J-Geschwister der Generation von 2001 das Brutgeschehen im Olympiapark nahezu vollständig übernommen. Vier Geschwister der 7-köpfigen G-Geschwister und drei Geschwister der (ursprünglich) 5-köpfigen J-Geschwistergruppe brüteten mehr oder weniger erfolgreich. Der verbliebene Nachkomme der K-Familie war nach wie vor im Gebiet, kam aber bei der Vergabe der Brutplätze nie zum Zuge.
Dieses Beispiel von vielen zeigt, wie bei Gänsen ein möglichst großes soziales Netzwerk aus Verwandten und Bekannten den späteren Bruterfolg befördert. Studien belegen, daß dabei Gelegegeschwister eine besondere Rolle spielen. Die Reduktion von Gelegen auf zwei Eier bedeutet im Regelfall, daß ein Gössel als Einzelkind aufwächst, dem im späteren Leben die wichtigsten Ansprechpartner seines sozialen Netzwerkes, die Geschwister, fehlen. Die Auswirkungen dieser sozialen Deprivation auf das Verhalten der Gänse ist nicht absehbar. Mindestens bedingt sie eine Benachteiligung dieser Gänse gegenüber Gänsen aus Gebieten, in denen solche Maßnahmen nicht vorgenommen werden.
Beispielhaft sei auch über das Schicksal einer Gans berichtet, die wir Mirjam nennen wollen und die im Jahre 2003 Brutvogel im Nymphenburger Schloßpark war. Anfang 2004 wurde diese Gans ohne Partner und ohne Nachwuchs, den sie zu diesem Zeitpunkt noch hätte betreuen müssen, verletzt angetroffen (hängender Flügel, siehe Foto). Mirjam überlebte bis Sommer 2009 im Nymphenburger Schloßpark, übrigens bis zuletzt als Einzelvogel, denn dauerhaft verletzte oder erkrankte Gänse werden unumkehrbar aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Flugunfähig überlebte diese Gans vier Jagdzeiten, bis die Jagd 2006 im Schloßpark eingestellt wurde.
Zur selben Zeit als die verletzte Mirjam der Jagd entging, fiel der erfolgreiche Brutganter Magnus derselben Ende 2004 zum Opfer. Dieser Gegensatz ist für die klassische Wasservogeljagd mit Schrot auf fliegende Vögel leider symptomatisch. Wie auch Studien aus Nordamerika belegen, trifft diese Art der Bejagung die stärksten Mitglieder einer Population bei Verschonung der Kranken und Schwachen und läuft damit der natürlichen Auslese zuwider.

Magnus war ein kräftiger und gesunder Ganter, der mit seiner Lebensgefährtin Martha mehrfach erfolgreich gebrütet hatte, 2004 hatten beide vier Jungvögel aufgezogen.
Martha wurde nach dem Abschuß von Magnus nur ohne die vier Jungvögel angetroffen, die zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch unter ihrer Betreuung gestanden hätten. Ein halbes Jahr später wählte sie einen neuen Partner, nach Gänsemanier einen alten "Bekannten", der auch schon zu Lebzeiten von Magnus zu den Sozialpartnern gehörte. Mit dem neuen Partner kam sie nicht wieder zur Brut. Der einst erfolgreichste Graugans-Brutvogel des Nymphenburger Schloßparks führte bis zu seinem Lebensende ein Aschenputteldasein im Randbereich des Parks und zeigte immer wieder Anzeichen von Verletzung. Derart gravierende Einschnitte in die Lebensläufe von Gänsen durch die Jagd sind keine Seltenheit.
Fazit: Für die Regulation von Gänsepopulationen ist Bejagung (wie andere letale Maßnahmen) denkbar ungeeignet. Für die Gänse kann ein Jagdereignis darüber hinaus eine einschneidende Änderung ihrer Lebensumstände bedeuten, insbesondere wenn sie dabei verletzt werden und/oder wichtige Sozialpartner verlieren.


Aktualisierte Wiedergabe des Abdruckes eines Vortrages für den Ökologischen Jagdverband ÖJV über Verhaltensbeobachtungen bei Münchner Stadtgänsen auf Grundlage der Beringungen durch Dr. Susanne Homma und Olaf Geiter ring@kanadagans.de, erschienen in der ÖkoJagd 1-2010

Hinweis: Text und Fotos/Graphiken dieser Präsentation sind urheberrechtlich geschützt. Textpassagen können unter Angabe der Quelle zitiert werden. Fotos und Graphiken dürfen jedoch nicht aus dieser Präsentation herausgelöst werden, auch nicht unter Angabe der Quelle. Dafür ist das Einverständnis der Autorin erforderlich, Mail an silke.sorge@yahoo.de
Fotos von oben nach unten: Titel Gerald Stock (Graugansgössel), alle anderen Silke Sorge; Graphiken: wenn nicht anders angegeben Silke Sorge